Am 7. November 2012 steht das Thema IBA 2020 auf der Tagesordnung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt. Dieses Thema ist von außerordentlicher stadtentwicklungspolitischer Bedeutung, es betrifft nicht nur eine Fachverwaltung, sondern das gesamte politische Spektrum der Stadt, aber auch zivilgesellschaftliche Initiativen. Daher möchten wir sieben kritisch-konstruktive Thesen zu diesem Thema beitragen.
Think IBA: Sieben kritisch-konstruktive Thesen zu einer IBA in Berlin
These 1
Die Messlatte für eine neue IBA liegt hoch: Berlin ist die Welthauptstadt der Bauausstellungen.
Nirgendwo sonst wurden so viele Bauausstellungen mit Erfolg durchgeführt wie in Berlin: Allgemeine Städtebau-Ausstellung 1910, Deutsche Bauausstellung 1931 (trotz des Namens war das eine internationale Ausstellung), die Interbau 1957 und die IBA 1984/87. Fünf Ausstellungen also, denn es gab schon vor West-Berliner Zeiten zwei wichtige Events. Diese Tradition setzt nolens volens Maßstäbe. Eine neue IBA verpflichtet!
These 2
Die neue Wohnungsfrage lässt sich nicht hauptsächlich durch Wohnungsneubau, nicht auf dem Feld der Architektur und des Städtebaus, also auf dem Feld einer IBA lösen.
Eine IBA ist ein besonderes Instrument der Stadtplanung, ein „Ausnahmezustand auf Zeit“ (Werner Durth), der es ermöglicht, neue Wege von Städtebau und Architektur im Experiment zu konkretisieren und auszutesten. Um einen solchen Ausnahmezustand auf Zeit zu rechtfertigen, bedarf es eines IBA-Themas, das zeitgemäß und drängend, aber auch international von Bedeutung ist. Wenn ein Thema nicht den hohen Ansprüchen genügt, besteht die Gefahr, dass das Instrument IBA abstumpft. Gerade hier muss Berlin als „Welthauptstadt der Bauausstellungen“ mit gutem Beispiel vorangehen und erneut Maßstäbe setzen.
Das Thema „Wohnen“ ist ein gerade für Berlin zentrales gesellschaftspolitisches Thema, das in den letzten Legislaturperioden nicht immer die nötige Aufmerksamkeit erfuhr. Es ist sehr zu begrüßen, dass die neue Regierung dieses Thema mit besonderem Engagement angehen will. Ist es aber auch ein Thema einer IBA? Bereits in den Bauausstellungen 1931, 1957 und 1987 stand der Wohnungsbau im Zentrum. Dabei ging es aber jeweils um komplexe, gesamtstädtisch begründete Perspektiven, die weit über das Wohnen hinauswiesen. Beispielsweise 1957 um die aufgelöste und gegliederte Stadt der Moderne als Gegenmodell zur Stadt der „Mietskasernen“ und 1984/87 um die Wiederentdeckung der Innenstadt, der „Mietskasernenstadt“, als Wohnort. Allerdings gelang es in keinem Fall, billigen Wohnraum langfristig zu sichern. Der sich abzeichnenden neuen Wohnungsfrage kann nicht hauptsächlich mit Wohnungsneubau begegnet werden. Die Herausforderungen liegen hier nicht auf dem Feld der Architektur und des Städtebaus, also auf dem Feld einer IBA, wenngleich der Aspekt Wohnen bei einer IBA natürlich nicht ausgeklammert werden soll. Wir vermissen bislang eine zielgerichtete öffentliche Debatte zur thematischen Botschaft einer neuen IBA.
These 3
Eine IBA muss auf der Höhe der nationalen und internationalen Diskussion sein.
Eine IBA findet niemals in einem isolierten Raum statt, heute weniger denn je. Der Blick auf die europäische wie nationale Ebene ist unverzichtbar. Die durch die Minister für Stadtentwicklung der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union 2010 unterzeichnete, für Europa zentrale Erklärung von Toledo sprach sich mit Blick auf eine nachhaltige Stadtentwicklung ausdrücklich für eine aktive, sektorale Politiken überwindende, integrierte Stadtpolitik aus. Das am 12. Oktober 2012 anlässlich der durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung veranstalteten Konferenz „Städtische Energien/Urban Energies“ verabschiedete Memorandum „STÄDTISCHE ENERGIEN – Zukunftsaufgaben der Städte“ benannte folgende nicht isoliert, sondern integriert zu bewältigende Schlüsselaufgaben nachhaltiger Stadtentwicklung: (1.) den behutsamen ökologischen Umbau von Quartieren, (2.) die technologische Erneuerung der stadttechnischen Infrastrukturen, (3.) die Entwicklung einer neuen Mobilität und (4.) die gesellschaftliche Integration, verbunden mit dem Appell „an die Verantwortlichen in Städten, Regionen, Staaten und internationalen Organisationen ebenso wie in Verbänden, Unternehmen und Initiativen, eigenverantwortlich Programme und Projekte für eine nachhaltige Stadtentwicklung unter Berücksichtigung der kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Dimensionen der Städte auf den Weg zu bringen“. Damit sind sicher noch nicht die konkreten Botschaften und Orte einer Berliner IBA benannt, wohl aber der zu berücksichtigende Rahmen. Wir vermissen aber bislang eine zielgerichtete öffentliche Debatte zur Auseinandersetzung um europäische und nationale Ziele der Stadtentwicklung für eine neue IBA.
These 4
Eine IBA bedarf konkreter Orte, deren Auswahl und Zusammenhang mit Blick auf die zentrale thematische Botschaft verständlich ist.
Eine IBA kann – wie frühere IBAs auch – den zukunftsorientierten Umbau nur exemplarisch anpacken. Projekte und Maßnahmen im Rahmen einer IBA können und dürfen in Zeiten knapper öffentlicher Budgets nicht „mit der Gießkanne“ über die Stadt verteilt werden. Deshalb muss es für die thematische Botschaft der IBA ein räumliches Gliederungskonzept geben. Dieses konkretisiert die Themenfelder der IBA und verankert sie im lokalen Kontext, gibt ihnen eine Berlin-Spezifik. Gefragt werden muss: In welchen Räumen konzentrieren sich besondere Herausforderungen und wichtige Projekte der Stadtplanung in den kommenden Jahren? Für welche Gebiete stehen bereits heute und in den nächsten Jahren Fördergelder des Landes, des Bundes und der EU bereit? In welchen Räumen ist eine ökonomische Dynamik zu beobachten, die zur Realisierung von IBA Projekten genutzt und die durch die IBA Organisation in Richtung einer qualitätvollen und nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung gesteuert werden kann? Wo gibt es bereits ein etabliertes Netz von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die in Beteiligungsprozesse miteinbezogen werden können? Wir vermissen bislang eine zielgerichtete öffentliche Debatte zur räumlichen Verortung der IBA.
These 5
Eine IBA bedarf einer aktiven Vorbereitung, welche die Berliner Stadtgesellschaft einbindet. Das bisherige Verfahren war wenig transparent und inklusiv.
Bereits seit zwei Jahren gab es in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und in der Zivilgesellschaft eine intensive Debatte über eine IBA Berlin 2020. Mehrere Konzepte wurden vorgelegt, allen voran das mit erheblichen Ressourcen geförderte Konzept „Hauptstadt – Raumstadt – Sofortstadt“ des von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eingesetzten „Prae-IBA-Teams“, dann das Konzept für eine IBA in Neukölln der Partei „die Grünen“ oder das Konzept „Radikal Radial“ von Bodenschatz, Machleidt & Partner und Think Berl!n. Bereits in dieser Zeit gab es seitens der Verwaltung kein Dialogangebot, der Dialog wurde in der Zivilgesellschaft geführt. Im Koalitionsvertrag vom 21.11.2011 hieß es zu einer neuen IBA: „Die ehemaligen Flughäfen Tempelhof und Tegel sind zentrale Elemente der Internationalen Bauausstellung (IBA) ‚Wissen, Wirtschaft, Wohnen’ im Jahr 2020.“ Diese zwar weite, aber durchaus neue Spielräume eröffnende Aussage wurde ohne öffentliche Diskussion seitens des neuen Senators Michael Müller auf das Thema „Wohnen“ reduziert. Am 7.11.2012 wird das Thema IBA in den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt eingebracht, ohne es vorher in der politischen und fachlichen Öffentlichkeit vorgestellt zu haben. Eine IBA ist aber ein Thema von großer öffentlicher Bedeutung, eine IBA bedarf einer politischen, zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Unterstützung. Nur auf diesem Wege kann auch der notwendige breite Rückenwind für eine IBA angefacht werden. Eine solche öffentliche, ergebnisoffene, transparente Debatte vermissen wir bislang.
These 6
Wir sind, das muss erwähnt werden, in der Frage nach einer neuen IBA auch „Partei“. Dennoch argumentieren wir hier nicht pro domo.
Unsere Initiative Think Berl!n plus hat in der Vergangenheit – auch in Kooperation mit dem ehemaligen Baustadtrat von Mitte und dem heutigen Staatssekretär, Ephraim Gothe – bereits mehrfach kritisch-konstruktive Debatten im Bereich der Stadtentwicklung zwischen Politik, Verwaltung und Wissenschaft angestoßen. Wir haben außerdem – zusammen mit dem Büro Machleidt & Partner – seit 2011 einen eigenen IBA-Vorschlag entwickelt: Radikal Radial. In einem weiteren Schritt haben zwei Mitglieder unserer Initiative Think Berl!n plus, Harald Bodenschatz und Cordelia Polinna, jeweils gegen Ende der Jahre 2010 und 2011 ein zweistufiges Gutachten im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erstellt, in dem wir zunächst untersucht haben, was von der IBA 1984/87 gelernt werden kann – vor allem in Hinblick auf eine IBA 2020. Diese Analyse hat uns zur Entwicklung von zehn „IBA-Tugenden“ geführt, mit denen wir das Konzept des Prae-IBA Teams/Senatsverwaltung für Stadtentwicklung „Hauptstadt – Raumstadt – Sofortstadt“ und den Denkanstoß „Radikal Radial!“ von Think Berl!n/Planungsbüro Gruppe DASS/Machleidt und Partner dann in einem zweiten Schritt abgeglichen haben. Im letzten Teil der Studie haben wir auf Basis der vorliegenden Konzepte erste Ideen für ein erweitertes IBA Konzept entwickelt, ausgerichtet auf die Themenfelder „Revitalisierung des schwierigen (städte-)baulichen Bestands des 20. Jahrhunderts“ und „neue Mobilität“. Beide Studien sind auf Webseiten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt verfügbar. Unsere Vorschläge sind sicher nicht die einzig möglichen. Dennoch wäre eine offene Auseinandersetzung über diese Vorschläge angemessen gewesen.
These 7
Berlin kann angesichts der bisherigen Verfahren noch nicht mit gutem Gewissen über eine IBA entscheiden.
Wir sehen vor dem Hintergrund der bisherigen Vorgehensweise bei der Konzeption der IBA hinsichtlich thematischer Botschaft, Verortung und Verfahren noch großen Diskussionsbedarf, um wirklich ein aussagekräftiges und tragfähiges Konzept für eine IBA 2020 zu entwickeln, das das Potenzial hat, Berlin zu einer international beachteten Modellstadt für nachhaltigen Städtebau werden zu lassen. Wenn es nicht gelingen sollte, ein überzeugendes Konzept zu entwickeln und dieses mit den notwendigen, wenngleich sicher bescheidenen Ressourcen zu untersetzen, sollte von einer IBA im Interesse der internationalen Strahlkraft Berlins Abschied genommen werden. Ob der Zielpunkt 2020 nach dem bisherigen Vorlauf realistisch ist, muss zumindest hinterfragt werden. Selbstverständlich sind wir weiter dazu bereit, uns an dieser Diskussion kritisch-konstruktiv zu beteiligen.
Think Berl!n plus
Cordelia Polinna
Jana Richter
Johanna Sonnenburg
Aljoscha Hofmann
Harald Bodenschatz
Berlin, den 04. November 2012
[…] [2] Think Berl!n plus: Sieben kritisch-konstruktive Thesen zu einer IBA in Berlin. 4.11.2012. Verfügbar unter: www.think-berlin.de/2012/11/sieben-kritisch-konstruktive-thesen-zu-einer-iba-in-berlin/ […]